Expertenrat: Fortschritte beim Klimaschutz nicht ausreichend – Klimapolitik breiter denken

Berlin, 05.02.2025 – Der Expertenrat für Klimafragen hat heute sein Zweijahresgutachten veröffentlicht. Darin untersucht er im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags die Entwicklungen und Trends der Treibhausgasemissionen und bewertet die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit, Wirtschaftlichkeit und sozialen Verteilungswirkungen. Darüber hinaus gibt der Expertenrat eine Einordnung zur Ausrichtung der zukünftigen Klimaschutzpolitik Deutschlands und formuliert dabei Anforderungen an das Klimaschutzprogramm, das eine neue Bundesregierung innerhalb des ersten Jahres der Legislaturperiode vorlegen muss.

Fortschritte bei der Treibhausgasminderung – Zielerreichung 2030 weiterhin gefährdet

Der Trend des Rückgangs der Treibhausgasemissionen von 2014 bis 2023 hat sich im Vergleich zur Dekade 2010 bis 2019 beschleunigt. Der Expertenrat sieht Fortschritte beim Aufbau eines neuen, nicht-fossilen Kapitalstocks, insbesondere in der Energiewirtschaft. In der Industrie waren vor allem höhere Energiepreise sowie konjunkturelle und strukturelle Nachfragerückgänge für die Emissionsminderung verantwortlich. In den beiden Sektoren Gebäude und Verkehr ist die Emissionsminderung unzureichend, was in erster Linie auf den schleppenden Umbau hin zu einem nicht-fossilen Kapitalstock zurückzuführen ist. Dies ist vor allem kritisch in Hinblick auf die Erreichung der nationalen Ziele unter der EU-Lastenteilung. Hier wird die Zielerreichung künftig nicht allein durch den europäischen Emissionshandel EU-ETS 2 sichergestellt werden können, sondern es dürften zusätzliche Maßnahmen erforderlich sein. Ebenso problematisch ist die Entwicklung im Sektor Landnutzung LULUCF, der eine Nettoquelle statt, wie geplant, eine Nettosenke darstellt. Neue Daten zeigen, dass diese Quellwirkung in den vergangenen Jahren sogar um ein Vielfaches höher war als bisher angenommen.

Insgesamt haben sich klimapolitische Anstrengungen erkennbar verstärkt. In den vergangenen zwei Jahren wurde eine Reihe von Klimaschutzmaßnahmen substanziell novelliert oder neu eingeführt. Der Schwerpunkt lag dabei auf fiskalischen sowie regulatorischen Instrumenten. Allerdings hat sich der Instrumentenmix dabei nur geringfügig verändert. Die neuen Maßnahmen zielen vorwiegend darauf ab, den bestehenden fossilen Kapitalstock durch nicht-fossilen Kapitalstock zu ersetzen und dabei bestehende industrielle Strukturen zu erhalten. Verhaltensbasierte Minderungspotenziale, also eine gezielte Reduktion und Veränderung von Aktivitäten vor allem in den Nachfragesektoren Gebäude und Verkehr, werden noch zu wenig adressiert.

Klimapolitik breiter denken – Zielkonflikte identifizieren, Synergien heben, Investitionen priorisieren

Angesichts der neuen geopolitischen Lage sowie der konjunkturellen und strukturellen Schwäche der deutschen Wirtschaft treten die Zielkonflikte der Klimaschutzpolitik mit anderen Politikfeldern zunehmend zu Tage. Zugleich sind die Folgen des Klimawandels immer deutlicher zu spüren. „Angesichts der erheblich veränderten Rahmenbedingungen und der starken Wechselwirkung mit anderen Politikfeldern muss Klimapolitik breiter gedacht werden. Die umfassende Einbettung klimapolitischer Maßnahmen in eine politische Gesamtstrategie ist jetzt wichtiger denn je“, betont der Vorsitzende Hans-Martin Henning. Zu dem Zweck empfiehlt der Expertenrat einen zentralen Koordinierungsmechanismus, zum Beispiel über die Wiedereinführung des Klimakabinetts, zur besseren Integration verschiedener Politikfelder. Zudem regt er die Einführung eines systematischen Monitoring- und Evaluationssystems an, das die Wechselwirkungen mit anderen Politikbereichen analysiert und Zielkonflikte offenlegt. „Für die zukünftige Ausgestaltung von Klimaschutzprogrammen müssen mögliche Zielkonflikte aber auch Synergien und Co-Benefits mit der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik einbezogen und in den gesellschaftlich-politischen Diskurs eingebracht werden”, führt Henning aus.

Die Frage nach der Finanzierbarkeit muss nach Ansicht des Expertenrats bei der Planung und Priorisierung von Klimaschutzmaßnahmen eine zentrale Rolle spielen. Der Expertenrat hat hierzu auf Basis mehrerer Studien die Investitionsvolumina insgesamt und speziell der öffentlichen Hand beziffert. Er verweist auf die hohen Investitionssummen für die Transformation hin zur Treibhausgasneutralität. „Die Analyse der betrachteten Studien zeigt, dass die projizierten Investitionen einen relevanten Anteil der erwarteten Wirtschaftsleistung Deutschlands ausmachen würden. Um zu beurteilen, in welchem Umfang und wie Transformationsinvestitionen gestemmt werden können, sollte die Bundesregierung deshalb in ihrer mehrjährigen Finanz- und Wirtschaftsplanung diese ausdrücklich berücksichtigen”, so Ratsmitglied Thomas Heimer. Dabei weist er zugleich auf die große Bedeutung von Innovationen hin.

Soziale und ökonomische Verteilungswirkungen von Maßnahmen im Blick behalten

Vertieft hat sich der Expertenrat mit den sozialen und ökonomischen Verteilungswirkungen befasst. Diese betreffen zum einen die internationale Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere der energieintensiven Branchen. In diesem Zusammenhang betont der Expertenrat die Notwendigkeit, Klimaschutzpolitik und die Gestaltung des Strukturwandels miteinander zu verzahnen. Zum anderen richtet sich der Blick auf die Betroffenheit der privaten Haushalte, insbesondere vulnerable Gruppen innerhalb der Gesellschaft. „Private Haushalte sind vor allem in den Nachfragesektoren Gebäude und Verkehr von finanziellen Auswirkungen verschiedener Maßnahmen betroffen. Zudem weisen einige Maßnahmen ein soziales Ungleichgewicht auf, so wurden bisher primär einkommensstarke Haushalte gefördert“, merkt die stellvertretende Vorsitzende Brigitte Knopf an. „Diese negativen Verteilungswirkungen könnten durch steigende CO2-Preise noch verstärkt werden. Daher sind zusätzliche Unterstützungs- und Kompensationsmaßnahmen erforderlich.“ Der Expertenrat empfiehlt, die sozialen Auswirkungen bei der Ausgestaltung klimapolitischer Maßnahmen künftig stärker mit einzubeziehen und nennt einige Maßnahmenbeispiele zu deren Adressierung.

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Der Expertenrat für Klimafragen ist ein unabhängiges Gremium aus fünf sachverständigen Personen verschiedener Disziplinen. Er wurde im September 2020 benannt und beauftragt durch § 11 und § 12 KSG. Das Gremium besteht aus den fünf Mitgliedern Prof. Dr. Hans-Martin Henning (Vorsitzender), Dr. Brigitte Knopf (stellvertretende Vorsitzende), Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge, Prof. Dr. Thomas Heimer und Dr. Barbara Schlomann. Neben anderen gesetzlich festgelegten Aufgaben legt der Expertenrat für Klimafragen alle zwei Jahre dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung ein Gutachten gemäß § 12 Abs. 4 KSG vor. Der Expertenrat veröffentlichte im Jahr 2022 das erste Zweijahresgutachten mit einer Betrachtung der Entwicklung der Jahre 2000 bis 2021.

Auf der Webseite https://www.expertenrat-klima.de/ finden Sie weitere Informationen über den Expertenrat für Klimafragen und seine Publikationen.
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Pressekontakt

Cynthia Schmitt
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